Vortrag anlässlich der Vorstellung des fair gehandelten „Elisabeth-Kaffees“ auf Einladung des Marburger Weltladens/Initiative Solidarische Welt e.V. am 10.05.07 im Marburger Rathaus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
kann eine Frau, die vor 800 Jahren geboren wurde, uns noch heute Impulse geben für Handeln, das die Welt verändert? Und dann auch noch diese Frau, von der wir in diesem Jahr schon so unendlich viel gehört haben, die in so vielen Gesprächen im Mittelpunkt stand und der so Vieles an Tatsächlichem und Legendarischem zugeschrieben wird?
Sie kann; und belegen will ich dies mit einem Zitat aus der deutschen Übersetzung eines Auszugs aus dem so genannten „Büchlein mit den Aussagen der vier Dienerinnen“, einer Hauptquelle zum Leben der 1235 heilig Gesprochenen. Isentrud von Hörselgau, die für sechs Jahre zur engsten Umgebung Elisabeths von Thüringen gehörte, berichtete der in päpstlichem Auftrag tätigen Kommission, die Elisabeths Leben auf seine Heiligmäßigkeit hin zu überprüfen hatte, folgendes: „Magister Konrad habe ihr, also Elisabeth, im Gehorsam befohlen, nur solche Einkünfte ihres Gemahls zu verwenden, über deren rechtmäßige Herkunft sie ein gutes Gewissen habe. Daran hielt sie sich so streng, dass sie bei Tisch an der Seite ihres Gemahls alles verschmähte, was von den Ämtern und Eintreibungen der Beamten stammte. Sie griff nur zu, wenn sie wusste, dass die Speisen von den rechtmäßigen Gütern ihres Mannes kamen.“ Aus dem weiteren Bericht Isentruds ist zu entnehmen, dass Elisabeth in dem Fall, dass keine Speisen und Getränke vorhanden waren, die diesen Kriterien genügten, zwar den an der Tafel anwesenden Rittern und Herren das Brot brach und die Speisen verteilte, dabei aber selbst nichts aß. Ihren Mann Ludwig bat sie, es ihr nicht übel zu nehmen, wenn sie nicht mit den Gästen speiste. Er antwortete ihr, dass er viel Verständnis für sie habe und es am liebsten selbst so hielte, dies aber aus Rücksicht auf seine Gäste nicht könne. Elisabeth versuchte zudem, ihre eigenen unmittelbaren Gefolgspersonen aus den Einkünften ihres eigenen Besitzes zu ernähren. Isentrud schilderte diese Speise- und Trankgebote recht ausführlich und sie nehmen einen erstaunlich breiten Raum ein.
Eine der Grundlagen für dieses Verhalten ist sicher in den asketischen Vorstellungen der Frömmigkeit des Hochmittelalters zu suchen. Doch gehen wir sicher nicht fehl, wenn wir dahinter auch ethische Grundsätze vermuten, in deren Zentrum das Wohl der Mitmenschen steht. Dies ist der Konnex zur modernen Idee des fairen Handels, der von kirchlichen wie außerkirchlichen Initiativen betrieben und gefördert wird.
Und von daher ist es auch aus der Sicht des Historikers, der in der Öffentlichkeitsarbeit seine Brötchen verdient, überhaupt kein Problem, für ein solches Produkt mit dem Namen Elisabeths von Thüringen, der heiligen Elisabeth, zu werben. Es soll da keine platte Parallele zwischen dem Handeln einer mittelalterlichen Fürstin und den Plänen heutiger NGOs aufgebaut werden, das wäre doch zu weit hergeholt. Aber wenn im Zentrum dieses Handelns das Interesse der Menschen steht, dann können Impulse sicher aus den Lebensbeschreibungen Elisabeths gewonnen werden.
Almosen zu verteilen war auch nicht Elisabeths einzige Art und Weise, den in Not Geratenen zu helfen. Es scheint damals auch schon die Vorstellung der Hilfe zur Selbsthilfe gegeben zu haben. Im Bericht der Augenzeugin Isentrud lesen wir vom Handeln Elisabeths während einer Hungersnot 1226, als sie für ihren abwesenden Mann Ludwig die Regierungsgeschäfte führte: „Nachdem sie das Volk so bis zur nächsten Ernte mit Nahrung versorgt hatte, gab sie allen Arbeitsfähigen Hemden und Schuhe, damit sie ihre Füße nicht an den Stoppeln verletzten, und Sicheln, damit sie mähen und sich durch eigene Arbeit ernähren konnten. Den Arbeitsunfähigen schenkte sie Kleider, die sie auf dem Markt hatte kaufen lassen. Das alles verteilte sie mit eigener Hand und frohem Herzen, und bei der Verabschiedung gab sie den Armen immer noch etwas hinzu. Wenn sie kein Geld hatte, schenkte sie armen Frauen seidene Kleider oder andere Kostbarkeiten, aber mit der Ermahnung: ‚Ihr sollt das nicht zu eurer Hoffart tragen, sondern für euren notwendigen Bedarf verkaufen und fleißig arbeiten!’“ Der Textredaktor fügte danach noch eine Stelle aus dem 127. Psalm ein, in der es heißt: „Von deiner Hände Arbeit sollst du essen!“
Es lohnt sich durchaus, diese beinahe schon programmatische Textstelle etwas näher zu betrachten. Zunächst bekommen die in akute Not geratenen Menschen Soforthilfe in Form von Lebensmittelspenden, um das Überleben kurzfristig zu sichern. Dann werden Arbeitsgeräte und Bekleidung ausgegeben, wahrscheinlich um Ersatz zu leisten für Werkzeuge und Textilien, die der Not wegen verkauft worden waren. Ausdrücklich wird erklärt, dass die Notleidenden damit in die Lage versetzt werden sollen, ihre Not mit eigener Hände Kraft zu wenden, ein sicherlich auch im Hinblick auf das Selbstwertgefühl der Almosenempfänger wichtiges Signal! Sie sind nicht mehr nur Bettler, sondern wieder im Stande, selbst für sich zu sorgen. Auch die Menschen, die nicht arbeiten können, werden nicht vergessen. Auf dem lokalen Markt, und nicht weit entfernt bei großen Produzenten, werden für sie Kleidungsstücke gekauft, was die örtliche und regionale Wirtschaft unmittelbar stärkt. Sind bares Geld und der Kleidermarkt erschöpft, werden den Notleidenden Wertsachen ausgegeben, aber nicht, um sie zu horten, sondern um sie im Wirtschaftskreislauf fruchtbar einzusetzen. Und schließlich wird noch einmal betont, wie wichtig es ist, selbst zu arbeiten und selbst arbeiten zu können. Nichts ist für in Not geratene Menschen schlimmer, als sich als Bettler zu fühlen. Dem wird hier ein Riegel vorgeschoben.
Das klingt recht modern, zumal sogar in Ansätzen strukturelles Handeln erkennbar ist und nicht einfach nur Almosenverteilung. Es klingt natürlich auch modern, weil es mit modernen Maßstäben interpretiert und bewertet wurde, ein nicht vollständig korrektes und zulässiges Verfahren. Das ändert aber wenig am Gehalt der Stelle, der sich vielleicht so auf den Punkt bringen ließe: „Du bist für Dein eigenes Leben selbst verantwortlich im Rahmen der dir vorgegebenen Möglichkeiten. Wenn Du Dich auf die faule Haut legst und passiv bleibst, wird sich Deine Lage nicht zum Besseren verändern. Wenn Du aber aktiv, mit einer Anschubhilfe, für Dich und das Leben der Deinen eintrittst und arbeitest, so wirst Du dafür noch zusätzlichen Erfolg ernten.“
Elisabeth von Thüringen als Impulsgeberin des fairen Handels, des gerechten Umgangs der Menschen miteinander weltweit? Das kann sie sicherlich sein, und vielleicht sogar noch ein wenig mehr: Wegen ihres auf der obersten Ebene so positiven Images eignet sich diese historische Frauengestalt sogar dafür, eine Ikone des partnerschaftlich-fairen Wirtschaftens weltweit sein zu können. Das ist die lachende Elisabeth, die die Menschen froh machen will, die vom Antlitz Jesu berichtet, dass es sie zum fröhlichen Lachen bringt. Es ist sicher nicht genug, Menschen mit neuen Werkzeugen und neuer Bekleidung zum Arbeiten auszustatten. Es gilt daneben auch, Menschen zu begeistern, zu motivieren zu positivem Handeln für sich und ihre Mitmenschen, in Notstandsregionen und Entwicklungsländern genauso wie hier im reichen Norden und Westen. „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein.“ Das galt nicht nur zu den Zeiten Mose, als er dies dem von Gott mit Manna versorgten Volk erklärte, oder zu den Zeiten Jesu, wie die Evangelisten Matthäus und Lukas berichten, das gilt sicherlich auch noch heute. Die besten Maschinen und Handelswege helfen dann mehr und besser, wenn die Menschen, für die sie da sind und die sich ihrer bedienen, dies mit Freude tun. Elisabeth von Thüringen kann ihnen vielleicht zeigen, wie man beim Arbeiten seine Fröhlichkeit und Zuversicht nicht verliert. Wenn wir alle ein wenig mehr darauf sehen, dass wir im einen Weinberg Gottes arbeiten, dann werden wir leichter zu einem fairen Umgang miteinander kommen können. Elisabeth kann uns dabei helfen, das zu verstehen.
Und deswegen ist es keineswegs verwunderlich, wenn Elisabeth von Thüringen zur Patronin eines fair gehandelten Kaffees wird. Es wäre seltsam, wenn man es ihr verweigerte!
Ich wünsche den beiden Elisabethkaffees des Marburger Weltladens großen Erfolg und viele zufriedene Genießerinnen und Genießer. Mir lag dieses Projekt von Anfang an auch am Herzen und deswegen möchte ich persönlich dem Team der Initiative meinen Dank sagen. Auch Sie haben – wie Elisabeth – Anteil an dem gemeinsamen Ziel einer faireren und gerechteren Welt.
Dr. Jürgen Römer
Geschäftsführer des Elisabeth-Jahrs 2007 der evangelischen Kirchen und Diakonischen Werke in Hessen
©Dr. Jürgen Römer 2007